10. International Congress of Shoulder and Elbow Surgery

Zugang zur Eröffnungsveranstaltung

Drei Jahre nach dem letzten ICSES in Washington gab es nun Anlass für eine Reise in den Süden des amerikanischen Kontinents. Vom 17. bis 20. September 2007 fand der ICSES in Costa de Sauipe, Bahia, Brasilien statt. Man hätte somit erwarten können, dass besonders viele Besucher aus Übersee dieses Ereignis auch unter touristischen Gesichtspunkten bewerten würden. Dennoch förderte eine Analyse dieser überaus erfolgreichen Tagung interessante Details zutage: Von den 1028 registrierten Teilnehmern (die Organisatoren mussten bereits einige Wochen vorher die Hotelreservierungen wegen Bettenmangels stoppen) kamen 584 allein aus Brasilien und 90 aus den restlichen lateinamerikanischen Staaten. Dagegen sahen die Zahlen der Teilnehmer aus den USA (45) gegenüber Japan (65), Frankreich (36), England (36), Südkorea (23) und den Niederlanden (19) ziemlich bescheiden aus. Im Vergleich zur letzten Tagung in Washington spiegelten diese Zahlen deutlich die Reserviertheit der US-Amerikaner wider.

Brasilianischen Abend unter Kollegen

Begründet wurde dies mit Bedenken hinsichtlich der persönlichen Sicherheit und Differenzen im aktuellen politischen Tagesgeschehen (derzeit enge Beziehungen mit Venezuela, Visapflicht für Amerikaner). Enttäuschend war leider auch die geringe Zahl der Teilnehmer aus Deutschland (16), was möglicherweise auch durch die ziemlich strenge Selektion der Präsentationen bedingt war. Aus den über 700 Anmeldungen wurden in einem "blinded" Review-Verfahren 248 Präsentationen und 352 Poster ausgewählt. Erfreulicherweise wurde der Vorstand der DVSE von Prof. Ulrich Brunner und Prof. Ernst Wiedemann in Brasilien vertreten. Weiterhin wurde unser Land durch Beiträge von Peter Habermeyer, M. Pfahler, A. Imhoff, F. Gohlke, V. Braunstein, D. Böhm, C. Josten, J. Löhr, M. Scheibel, M. Göbel, P. Diehl, F. Reuther, R. Heikenfeld, C. Fischer, P. Bartl, K. Labs und M. Geyer vertreten.

Aus der Sicht der Europäer waren die Themen und eingeladenen Referenten diesmal durchaus als relevant, aktuell und regional ausgewogen zu bewerten, auch wenn mancher Organisator eines Symposiums bedauerte, in der Auswahl seiner Referenten an politisch orientierten Vorgaben gebunden zu sein. Selbst wenn damit in den vielen gut platzierten Symposien (Neue Trends in der Ellenbogenchirurgie, der Behandlung von proximalen Humerusfrakturen, der Defektarthopathie und massiven Rotatorenmanschtten-Defekten) nicht immer die international bekanntesten Referenten auftraten, konnte man doch einen recht guten Überblick über den derzeitigen "State of the Art" und die international manchmal sehr unterschiedlichen Betrachtungsweisen eines Problems gewinnen.

Die Auswahl des Tagungsortes (das Ferien-Resort Costa do Sauipe, der "Sandfloh-Küste") wurde von den im Vorfeld geäußerten Bedenken derjenigen Gäste geleitet, die sich um die persönliche Sicherheit sorgten - in einem Land dass durch die enormen sozialen Gegensätze und eine hohe Krininalitätsrate in den Vororten (Favelas) der großen Städte geprägt ist.

Die Organisatoren des 10. ICSES
Die Organisatoren des 10. ICSES

Dennoch funktionierte die Organisation einwandfrei. Insbesondere die Medientechnik in den beiden Hauptsälen zeigte ebensowenig Schwächen wie die Betreuung durch das lokale Team, das von dem Executive Committee (Osvandré Lech, Segio Checchia und Adalberto Visco) gut ausgewählt und instruiert wurde. Die hohe Zahl der Teilnehmer, die bereitwillige Unterstützung durch die Industrie (Gold-Sponsor Tornier) und die breite Zustimmung der Teilnehmer zu Programm und Themenauswahl erfüllte die Organisatoren sichtlich mit Stolz.

Salvador de Bahia, die alte Hauptstadt Brasiliens
Salvador de Bahia

Von manchem Gast wurde aber bedauert, nicht näher an der alten Hauptstadt Salvador, einem als Weltkuturerbe von der UNESCO geschützten Kulturgut, untergebracht zu sein. Dennoch war die überwiegende Zahl der Teilnehmer mit dem tropischen Ambiente (einem schier endlos von Kokospalmen gesäumten, breiten Sandstrand mit reizvoll belassener Lagune, bedeckt mit vielen weißen Seerosen, belebt von der natürlichen Fauna der Umgebung) sehr einverstanden. Viele nutzten die Gelegenheit, mit ihren Familien einige Tage an diesem paradiesischen Fleckchen Erde auszuspannen oder zu einem Tagesausflug in das schwarze "Herz" Brasiliens, Salvador, aufzubrechen. Manche wählten Salvador auch zum Ausgangspunkt für eine Reise in die artenreichste Regionen unserer Erde, das Amazonas-Becken, den Pantanal oder zu den Iguacu-Wasserfälle im Grenzgebiet zu Paraguay und Argentinien.

Trotz aller Naturschönheiten lohnte auch das wissenschaftliche Programm der Tagung. Von dem Internationalen Board der ICSES, geleitet von S. Copeland (UK), wurde ein sehr abwechslungsreiches und ausgewogenes Programm gestaltet. Die freien Vorträge (gehalten in nur zwei parallelen Sitzungen) wurden eingerahmt von einer Serie von Symposien und "Lectures" zu Ehren bekannter Persönlichkeiten aus den letzten 100 Jahren Schulter- und Ellenbogenchirurgie. Die Auswahl der Themen orientierte sich an aktuellen Problemkreisen, wie z.B. der Behandlung der proximalen Humerusfraktur, der Defektarthropathie und der Schulter-Instabilität. Erwartungsgemäß stand die Diskussion um die derzeitigen Indikationen und mittel- bis langfristigen Ergebnisse der inversen Schulterprothese im Mittelpunkt des Interesses; vertreten durch eine Vielzahl von Vorträgen, die sich aus den 2006 gesammelten und größtenteils bereits in Nizza publizierten Daten der französischen Multicenter-Studien ableiteten.

Aus der Vielzahl der Vorträge, die leider wieder parallel in den zwei Hauptsälen liefen, seien einige weitere Themenkomplexe, die in den Pausen für kontroverse Diskussionen sorgten, erwähnt.

 

Schulterinstabilität

Ebenso wie bei der Endoprothetik standen die Referenten aus den USA diesmal auch in der arthroskopischen Behandlung der Schulterinstabilität eindeutig im Schatten der äußerst kreativen Kollegen aus Frankreich. Von P. Boileau wurde der Instability severity Index Score (ISIS) vorgestellt, der anhand des Materials einer Multicenter-Studie 6 Faktoren (u.a. Alter, Hyperlaxität, Glenoiddefekt) indentifizierte, die für den Erfolg einer arthroskopischen Bankart-Operation von Bedeutung sind: Mehr als sechs Punkte bedeuten somit ein Risiko von 70% für ein Rezidiv. Von klinischer Relevanz und weitgehend unbekannt auch das Erscheinungsbild der häufig im MRT übersehenen "reversed HAGL-Läsion" bei posttraumatischen hinteren Instabilitäten und die Möglichkeiten, diese endoskopisch zu versorgen (J. Willems und D. Bokor).

Dennoch fragte sich so mancher geneigte Zuhörer erst heimlich und später auch am Abend beim entspannten Ausklang des wissenschaftlichen Programms zu Bossa Nova-Klängen und Caipirinha, ob alles, was arthroskopisch an der Schulter machbar ist, auch sinnvoll und vertretbar für den Patienten sei. Mit Blick auf die unbefriedigenden Erfolgsraten der endoskopischen Rekonstruktion der posttraumatischer Instabilitäten, die im Vergleich zu anatomischen offenen Rekonstruktionsverfahren immer noch 2-3x häufiger zu Rezidiven führen, wurde der alte Sinnspruch von Codman (".. give me something different, it might be better ..") sehr weit ausgelegt. Selbst die bereits vor 20 Jahren als unanatomisch und obsolet bezeichnete Boicev-Operaton kommt in modifizierter, arthroskopischer Form wieder zu Ehren (Boileau/Nizza: the belt & suspender procedure) - nur wird jetzt nach Subscapularis-Umschlingung die Coracoidspitze wie ein Lig. patellae mit Interferenzschraube in den Glenoidhals eingebolzt. Damit soll zur Ergänzung einer Labrumrefixation auch die plastische Elongation der Gelenkkapsel behandelt werden. Erst wenn man die besondere Konkurrenzsituation in Frankreich zwischen Nizza und Annecy berücksichtigt, wird verständlich, warum eine derart zeitraubende und risikoreiche arthroskopische Prozedur anstatt eines simplen, allerdings offenen Capsular Shift vorgestellt wurde.

Selbst hartgesottenen amerikanischen Vertretern des "all arthroscopic way of life", wie S. Burkhart, blieb da nur das Staunen. Der unbefangene Zuschauer vermißte allerdings handfeste Daten zu Komplikationen, Erfolgsraten und Indikation dieser Methode.

 

Oberflächenersatz

T. Norris (USA) leitete die Sitzung über den Oberflächenersatz, die mit einer Vielzahl von Vorträgen aus Reading/UK bestückt wurde. Darin konnte man als unbefangener Zuhörer den Eindruck gewinnen, dass der Oberflächenersatz im Design n. Copeland bei alle Indikationen (von der Kopfnekrose über die Defektarthropathie und dezentrierte Omarthrose) und Altersstufen (von 18 bis über 80) die probate Lösung mit den besten Ergebnissen darstellt. Aus dem Vergleich seiner persönlichen Ergebnisse nach Kopfersatz versus Totalendoprothese, die keinen Vorteil des zusätzlichen Glenoidersatzes ergaben, zieht Copeland recht voreilig den Schluß, dass der Glenoidersatz generell nicht indiziert sei, wobei er die Gründe für das Scheitern seines zementfreien Glenoiddesigns bis heute nicht offengelegt hat.

Seine im Vergleich zur Mayo-Clinic in Rochester gegensätzlichen Erfahrungen (hohe Rate an unbefriedigenden Ergebnissen und Revisionen mit der Hemiprothese im Langzeitverlauf bei Omarthrose jüngerer Patienten - kürzlich im JBJS publiziert) wurde von Copeland mit dem viel "anatomischeren" Design seines Oberflächenersatzes begründet - was anhand der gezeigten Röntgenbilder allerdings wenig plausibel erschien. Auch die Tatsache, dass entgegen den bisherigen Angaben über Hemiprothesen lediglich in einem von 206 Fällen eine Glenoiderosion beobachtet wurde, weckte erhebliche Zweifel an dieser Darstellung.

 

Arthroskopische versus offene Rotatorenmanschetten-Rekonstruktion

Einen Höhepunkt bildeten die Sessions über die Rotatorenmanschette, bei der erwartungsgemäß der Vergleich zwischen arthroskopischen und offenen Verfahren im Mittelpunkt stand. Von Y. G. Rhee (Süd-Korea) wurde kein signifikanter Einfluß einer vorbestehenden Schultersteife auf das funktionelle Ergebnis der arthroskopischen Rekonstruktion gefunden, wobei man sich fragte, warum gerade eine LBS-Tenodese oder AC-Resektion als Ausschlußkriterium galten. Von N. Millar (Australien) und A. Henrique (Italien) wurden vergleichende Untersuchungen zu den unterschiedlichen offenen und arthroskopischen Techniken präsentiert, die aber, wie viele andere schon vor ihnen, retrospektiv und ohne klare Beschreibung der unterschiedlichen Ausgangssituation präsentiert wurden.

Viel aufschlußreicher dagegen waren die Ergebnisse der ersten prospektiv randomisierten vergleichenden Studie aus Nancy/Frankreich (D.Molé). Hier wurden reine Supraspinatus-(Ein-Sehnen)-Rupturen ohne fettige Infiltration in offener versus arthroskopischer Rekonstruktionstechnik klinisch und im Arthro-CT verglichen. Nach einem Jahr fand sich kein signifikanter Unterschied im Constant-Score. Das CT ergab allerdings nur in der arthroskopischen Gruppe (21,5%) eindeutige Redefekte, während in der offenen Gruppe allenfalls ein punktförmiger Übertritt des Kontrastmittels beobachtet werden konnte. Die Vorteile der arthroskopischen Technik bestanden in etwas kürzerer Verweildauer, und schnellerer Rehabilitation in den ersten 6 Monaten. Auf die Frage, ob bei eindeutig erhöhten Rezidivraten und der zu erwartenden Progression der Defekte nicht wenigstens bei den älteren Patienten eine Rückkehr zum offenen Verfahren angebracht sei, gab es zur Verblüffung des Publikums nur eine höchst lakonische Verneinung.

Von J. Keum (Korea), S. Meier (USA) wurden in Bestätigung aktuelle Publikationen signifikant bessere Ergebnisse für die Double row-Rekonstruktion bzw. "suture spanning" Technik der arthroskopischen Rekonstruktion bei Defekten über 3cm Breite gefunden. Im Auditorium wurde wiederholt die Frage diskutiert, warum offensichtlich die Intaktheit der Manschette in den ersten Monaten nach der Operation mit mehr Steife und Schmerz korreliert. Es wurde allgemein vermutet, dass die Dehnung des verkürzten und erfolgreich reinserierten Muskels wähend der Rehabilitation nur bei den intakten Manschetten Beschwerden verursacht, so dass vernünftige Aussagen über einen nachhaltigen Erfolg frühestens nach einem Jahr möglich sind.

 

ICSES Delegates Meeting

Während der Tagung traf sich auch der International Board of Shoulder and Elbow Surgeons (IBSES). Chairman ist S. Copeland (UK), Treasurer Eiji Itoi (Japan) und Secretary L. Bigliani (USA). Als Board Members vertreten David Sonnabend, Gilles Walch, Richard Wallensten, Peter Welsh, Sérgio Checchia, Robert Cofield und Hiroaki Fukuda die Interessen der verschiedenen Kontinente zusammen mit den 25 Delegates (davon 5 aus Europa). Von S. Copeland wurden die Grundzüge der kommenden Entwicklungen dargestellt. Er erläuterte, dass man künftig versuchen will, die Basis stärker einzubinden und den Delegates mehr Entscheidungsbefugnis einzuräumen.

Als übernächster Tagungsort (2013) wurde einstimmig Kyoto/ Japan unter der Präsidentschaft von Eiji Itoi von den Delegierten gewählt. Itoi erläuterte die Struktur der 1974 gegründeten japanischen Schulter- und Ellenbogengesellschaft (JSS) mit ihren mehr als 1200 Mitgliedern und deren bisher beachtlichen Beitrag an dem Aufkommen der Artikel des JSES und den Präsentationen der ICSES-Tagungen sowie die Tatsache, dass Asien zuletzt vor knapp 20 Jahren mit Fukuoka Austragungsort war. Von dieser Argumentation und der Anziehungskraft der alten Kaiserstadt Japans waren die Delegierten leicht zu überzeugen.

Zum Ausklang der Tagung kulminierte die beschwingte Stimmung der Teilnehmer in einem spontanen Samba, bei dem wiederum die European Delegates in vorderster Front aktiv mitarbeiteten. Den Veranstaltern, die hier sichtlich erleichtert die Glückwünsche zum erfolgreichen Verlauf entgegennahmen, darf man für ihre Mühe unsere Anerkennung und unseren herzlichen Dank aussprechen.

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